Zielanflug

Frühstück hatte ich zu um acht Uhr – früher ging nicht – bestellt, wollte ich doch zeitig los, um möglichst früh in Lübeck zu sein. Das Wetter sah hervorragend aus, blauer Himmel. Aber eisig kalt, acht Grad nur.

Der Flying Otter, bereit für das letzte Gefecht

Dann ging es zügig raus aus Wismar, immer an der Küste längs. Und wie es in dem Kartenmaterial schon stand, es ging ordentlich rauf und runter – und das an der deutschen Ostseeküste! Das war in meiner Vorstellungskraft auch nicht so gegeben. Die Wege waren aber gut ausgebaut, so machte das durchaus Spaß.

Ortsausgang Wismar

Es ging an wirklichen schönen Stränden vorbei, an netten Orten und auch wieder an der Steilküste. Es lief richtig gut! In Boltenhagen hielt ich noch beim Fahrradladen und kaufte mir geschlossene Radhandschuhe, es war echt frisch. Und einen neuen Ersatzschlauch, das hatte ich bisher noch nicht gemacht. Man weiß ja nie!

Steilküste bei Boltenhagen

Dann führte der Weg würde mehr in den Wald und der Boden wurde wieder etwas holpriger. An der Gedenkstätte zur Kap Arkona hielt ich an und las über das Schicksal des in den letzten Kriegsstunden kurz vor der Küste versenkten Flüchtlings-Schiffes.

Der Weg wird wieder ruckeliger

Eine halbe Stunde später nahm das Drama seinen Lauf. Der Weg war sehr schotterig mit vielen Pfützen, wo man dann auch nicht sehen konnte, was sich darin befindet. Ich hatte plötzlich das Gefühl auf Seife zu fahren. Ein Blick nach hinten offenbarte dann auch warum. Es war recht wenig Luft im hinteren Reifen. Okay, anhalten, mal was nachpumpen. Relativ bald war klar, das reicht nicht. Ich musste den Schlauch wechseln. Verdammt, nur noch 4 km bis Travemünde! Echt? Jetzt noch? Na gut, ist ja schnell gemacht. Also das Wechseln. Das Pumpen mit der kleinen Notpumpe eher nicht so. Dann wurde es fies. Das Ventil hielt nicht. Immer wenn ich die Pumpe wieder abzog, schoss mir das Ventil entgegen. Dann hieß es neu aufpumpen. Nach dem dritten Mal gab ich entnervt auf. Der Reifen war ja halb voll, ab jetzt wird geschoben, dafür reicht’s! Der nächste Fahrradladen war in Travemünde. Also schob ich erstmal bis zur Fähre in Priwall. Der Automat wollte meine Karte zuerst nicht, es fing an zu regnen und ich verpasste die erste Fähre. Der erste Fahrradladen in Travemünde hatte zu – es war ja Mittwoch Nachmittag. Es war wie in Stephen King’s „Der Anschlag“, je näher Du dem Ziel kommst, desto mehr wehrt sich die Zeit dagegen.

Travemünde – hier hatte alles vor gut sechs Wochen angefangen

Also noch weiter schieben. Der nächste Fahrradladen hatte geöffnet, er konnte mir erklären, warum das Ventil immer wieder zurückkam – man brauchte einen speziellen Plastikschlüssel zum Festziehen. Aha! Hatte ich beim letzten Schlauch wohl einfach nur Glück… Das Aufpumpen war mittels Kompressor dann ein Klacks. Der Otter war wieder fit, aber der ganze Spaß hatte weit über zwei Stunden gekostet. Das frühe Ankommen in Lübeck hatte sich erledigt.

Regen bei Sonnenschein

Dann ging es flott weiter Richtung Lübeck, die Beschilderung war gut. Es regnete zwar zwischendurch noch mal – während die Sonne schien – aber das dauerte nur zehn Minuten. Dann hörte die Beschilderung einfach auf und die aktuelle Postionen wich doch ganz gut von der Karte ab, die mir Komoot errechnet hatte. Mist! Ich guckte etwas verloren in der Gegend nach einem weiteren Fahrradschild, während ich an der Ampel stand, als ich dann glücklicherweise aus einem Auto heraus angesprochen wurde, wo ich denn hin wolle. Ja, ins Zentrum… Er zeigte hinter mir auf die Bushaltestelle und sagte, dass ich dort mit dem Bus mitfahren solle, der würde mich durch den Herrentunnel bringen. Es würde auch nichts kosten. Mmh, okay, hört sich trotzdem komisch an. Ich schaute auf den Fahrplan und der Bus sollte in fünf Minuten kommen, warten wir’s mal ab. Aber genau so war’s dann auch. Ein Bus kam, zur Hälfte nur für Fahrräder, sogar noch mit einem extra Anhänger nur nur Räder. Verrückt!

Im Bus durch den Tunnel

Und dann fuhr der Otter Bus. Klappte alles ganz hervorragend. Danach ging es noch ein paar Kilometer durch die Stadt, aber dann war ich am erklärten Ziel. In Lübeck am Holstentor. Nach 3231 km war der Iron Curtain Trail für mich an dieser Stelle beendet.

Danke allen, die mich in diesem Vorhaben unterstützt haben und mir immer wieder Mut zugesprochen haben, wenn ich dachte, dass es jetzt genug wäre oder wenn das Wetter wieder Dinge getan hat. Aber auch Danke an alle, die gefrotzelt haben und so immer wieder ein Schmunzeln in mein Gesicht zaubern konnten. Am Ende ist alles immer gar nicht so schlimm und irgendwie geht es sowieso weiter. Das wurde mir noch mal mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt und sollte auch so sein.

Der größte Dank gilt meiner Frau, die gesagt hat, mach das, Du schaffst das, ich komme hier auch alleine zurecht die paar Wochen. Du bist großartig, ich liebe Dich!

Danke für’s Zuhören bzw. Lesen, es war doch viel mehr Arbeit, diesen Blog zu verfassen, als ich mir das vorher vorgestellt hätte – gerade wenn man das alles nur mit dem Handy macht, die Autokorrektur kann einen da schon wahnsinnig machen! – aber es hat sich gelohnt!

Einen Nachklapp oder Resümee schreibe ich hier in den nächsten Tagen rein, auch wie sich die Rückführung gestaltet hat – das ist durchaus nochmal spannend! Dann erzähl ich auch die Geschichte vom Otter, warum der so heißt und warum es überhaupt diese Strecke geworden ist.

Freuen würde ich mich weiterhin über Kommentare hier im Blog, denn die bleiben mir erhalten, die ganzen Textnachrichten über WhatsApp usw. sind vergänglich. Die Kommentarfunktion erscheint, wenn Ihr den einzelnen Beitrag auswählt, beispielsweise wenn Ihr die Überschrift anklickt. Auch dafür vielen Dank!

Gesamtstrecke: 78356 m
Gesamtanstieg: 576 m
Download file: Track_2019-10-02.gpx

Dauerregen

Wie versprochen kommen nun noch die beiden fehlenden Tage.

Fertig gepackt

Am Vormittag des vorletzten Tages der Tour sollte es regnen. Meine Hoffnung, dass es erst anfangen würde, wenn ich das Zelt schon verpackt hatte, löste sich dann beim Aufwachen um halb sieben auf: es regnete schon. Dann kannst Du auch noch liegen bleiben und warten, bis es aufhört. Es reicht ja, wenn Du das Zelt nass einpacken musst, deswegen musst Du Dich ja nicht selbst nassregnen lassen. Gesagt, getan. Es hörte dann auch tatsächlich auf, aber bis ich dann wirklich loskam, war es elf Uhr. Mmh, eigentlich wolltest Du heute nochmal ein ordentliches Stück radeln, damit Du morgen wirklich bei halbwegs gutem Wetter bis nach Lübeck kommst…

Moor

Anfänglich ging es wieder nur durch den Wald. Direkt eine halbe Stunde nach der Abfahrt kam auch der Regen zurück, ganz toll. Dann sollte der Weg durch ein Moor gehen, vielleicht 600 m. Bei trockenem Wetter wäre das bestimmt interessant gewesen… Bei diesem? Nein, das lassen wir mal lieber! Retour!

Fähre in Warnemünde

Nicht mal eine Stunde später war ich dann schon in Warnemünde, wo ich ebenfalls wieder mit einer Fähre übersetzte. Direkt im Anschluss sollte ich mittels Unterführung auf die andere Seite des Bahnhofs, wo der Radweg dann weitergehen sollte. Diese Unterführung hat es in sich! Sehr steil, kein Fahrstuhl in Sichtweite und für die Räder nur so eine Art schmale Betonregenrinne an der Seite der Treppen. Runter ging, hoch nicht. Ich hatte das beladene Rad noch nicht mal auf halber Höhe und konnte mit den Bremsen verhindern, dass das Rad wieder hinunterrutscht. Mit aller Kraft versuchte ich den Otter weiterzuschieben – und plötzlich ging es viel leichter! Das war komisch, aber da hörte ich auch hinter mir schon eine Stimme: „Schieb weiter! Ich helf Dir!“ Gemeinsam schafften wir den Otter da hoch und dann sah ich erst, dass der Mann, der da so freundlich mir angepackt hatte, bestimmt schon sechzig war. Ich bedankte mich natürlich direkt und kam dann noch mit ihm und seiner Frau ins Gespräch. Die üblichen Fragen, aber auch wieder rundherum nette Menschen, die ganz begeistert waren von dem, was ich da tat. Und sie waren beide Fans von Tallinn und sagten mir, dass ich mich auf jeden Fall auf Lübeck freuen sollte! Im Anschluss wärmte ich mich in einer Bäckerei auf, wo es dann auch endlich Frühstück gab. Für später nahm ich mir noch ein Franzbrötchen mit, welches ich eilig im Gepäck verstaute, damit es nicht nass wurde.

Auf der weiteren Fahrt fuhr ich immer wieder an der Steilküste, was – wie schon erwähnt – an sich ganz schick gewesen wäre, aber bei Dauerregen nicht wirklich. Es war ganz gleich eigentlich, wo ich dann an diesem Tag war. Ich kam durch viele Touristen-Orte wie Kühlungsborn oder Heiligendamm und konnte viele beeindruckende Hotels sehen. Es war auch trotz des Wetters überall was los, aber ich wollte einfach nur weiter, um trotzdem noch mein erklärtes Tagesziel zu erreichen: Wismar.

Dieses Café war eher eine der Ausnahmen

In der Zwischenzeit buchte ich dann noch ein Zimmer in Wismar, als klar war, dass es heute tatsächlich erreichbar war. Doppelzimmer mit Terrasse – sehr gut! Da kann der Otter direkt auf der Terrasse stehen und Du brauchst Dein Gepäck nicht hochschleppen! Weiter ging’s durch den Regen, langsam war mir echt kalt. In der Zwischenzeit hatte ich bereits den Windstopper unter der Regenjacke an, anders wäre ich erfroren glaube ich.

Ortseingang Wismar

Dann war ich endlich da. Der Schlüssel war wieder einmal in einem Safe, okay, passt. Mmh. Zimmer 14? Hört sich jetzt mehr nach erstem Stock an… Da war es dann aber nicht. Die enge Treppe führte mich bis in den dritten Stock?! Tja… Dachterrasse. Das war genau das, was man braucht, wenn man den ganzen Tag durch den Regen gefahren ist. Naja, zur Belohnung gibt’s jetzt vor der heißen Dusche erstmal das Franzbrötchen! Der erste Bissen offenbarte leider, dass das Brötchen vom Imprägnierspray getroffen wurde. Absolut ungenießbar. Na toll. Beim Ausziehen stellte ich dann fest, dass der Windstopper unter der Regenjacke ordentlich nass geworden ist. Ob das man bis morgen trocknet? Ich weiß ja nicht…

Nach der Dusche ging es ab zum Griechen, der zum Glück keine 200 m entfernt lag. Guter Service, gutes Essen – wenigstens ein Ausgleich für diese nassen 91 km. Froh war ich trotzdem, das Ziel lag nun in greifbarer Nähe – ich konnte das Marzipan aus Lübeck schon riechen!

Gesamtstrecke: 90081 m
Gesamtanstieg: 449 m
Gesamtzeit: 07:20:24
Download file: Track_2019-10-01.gpx